„Der Vorsprung der Jüngeren ist geschrumpft“: Interview mit Rüdiger Maas

Alexandra Rupacher
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10. September 2020 Lesezeit 7 Minuten
Generationenforscher Rüdiger Maas weiß sehr genau, welche Veränderungen die Corona-Krise am Arbeitsmarkt ausgelöst hat. Wir haben den Experten zum Interview gebeten und viele interessante Insights in die „Corona Studien“ erhalten.

Inhalt

    Rüdiger Maas ist Generationenforscher und Experte für die Generation Z. Mit dem Institut für Generationenforschung führt er seit Anbeginn der Corona-Pandie wöchentlich Erhebungen durch, die zeigen, wie Menschen in verschiedenen Gruppierungen und Generationen auf die aktuelle Situation reagieren. Welche Trends daraus resultieren und welche gesellschaftlichen Bewegungen stattfinden. 

    Wir haben mit Rüdiger Maas vor Kurzem über die Generation Z gesprochen. Nun haben wir ihn erneut zum Interview gebeten, um mehr über die aktuelle Situation – vor allem auf dem Arbeitsmarkt – zu erfahren.

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    Generation Corona: Interview mit Rüdiger Maas

    Herr Maas, was ist Ihnen im Zuge Ihrer Erhebungen in den vergangenen Wochen besonders aufgefallen? 

    Was das Arbeitsleben betrifft ist auffällig, wie positiv das Thema Homeoffice aufgenommen wurde. Es gibt viele, die nicht mehr zurück wollen zur Situation vor der Corona-Krise. Viele haben festgestellt, dass das Arbeiten im Homeoffice besser funktioniert als gedacht. Auch die Bereitschaft für Meetings, Workshops usw. in digitaler Form ist gestiegen – gerade bei den Älteren. 

    Die Jüngeren sind etwas devoter geworden: Viele haben in den letzten Wochen auch einmal Absagen erhalten. Das ist für die Generation Z noch ungewohnt. Wobei das natürlich auch branchenabhängig ist. Besonders schlimm hat es z.B. die Veranstaltungsbranche getroffen. In den Bereichen Buchhaltung, Controlling etc. ist oft alles fast weitergelaufen wie davor.

    Die Akzeptanz für neue Technologien & digitale Prozesse ist bei Älteren gestiegen.

    Sie haben die Generation Z schon angesprochen. Können Sie weiter darauf eingehen, wie sich hier die Situation am Arbeitsmarkt verändert hat?

    Durch die Corona-Krise sind auch die älteren Arbeitnehmer* digitalaffiner geworden. Der Vorsprung der Jüngeren ist geschrumpft – und das bringt die Generation Z unter Druck. Außerdem gibt es in vielen Unternehmen derzeit einen Einstellungsstopp. Jüngere, die nun vielleicht gerade mit dem Studium fertig sind, merken, dass es gerade gar nicht so einfach ist, einen passenden Job zu finden. 

    Und: Die Eltern, die sonst mit ihrer Erfahrung einen sicheren Hafen bieten, haben so etwas wie die Corona-Pandemie auch noch nie erlebt. Sie können aktuell wenig Orientierung geben. Dadurch gibt es aktuell noch mehr Verunsicherung in der Generation Z. Sie ist weniger selbstbewusst als noch vor ein paar Monaten.

     
    „Durch die Corona-Krise sind auch die älteren Arbeitnehmer digitalaffiner geworden.“
    Rüdiger Maas Generationenforscher & Autor

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    „Es geht nicht mehr weiter wie bisher“

    Was lässt sich sonst noch über die aktuelle Situation am Arbeitsmarkt sagen? 

    Insgesamt ist es im Moment schwieriger einen Arbeitsplatz zu finden als vor der Corona-Krise. Am Anfang hat es vor allem die Generation X getroffen, die sich zum Teil schwer getan hat mit der beschleunigten Digitalisierung. Außerdem haben die Arbeitnehmer in diesem Alter oft Kinder – was im Homeoffice bestimmte Herausforderungen mit sich bringt. 

    Allmählich ist auch die Generation Z mehr betroffen. Für die jüngeren Arbeitnehmer läuft es gerade nicht mehr so wie gewohnt – das löst auch vermehrt Ängste und Verunsicherung aus.

    Die Krise hat Verunsicherung & Ängste bei der Generation Z ausgelöst.

    Es wurde berichtet, dass die Frage nach dem Sinn bei vielen in den vergangenen Wochen vermehrt aufgetaucht ist. Haben Sie den Eindruck, dass das für viele Arbeitnehmer ein Thema ist?

    Durch die aktuelle Situation haben viele mehr Zeit zuhause verbracht, konnten im Urlaub nicht wegfliegen usw. – und haben so eine erzwungene neue Perspektive eingenommen. Es gab quasi keine Flucht vor dem eigenen Leben.

    Gleichzeitig gibt es durch die Pandemie eine Art Gleichschaltung: Alle müssen Masken tragen, sich an Ausgangsbeschränkungen halten etc. Das alles hat zu einer veränderten Wahrnehmung geführt. Viele haben den Eindruck, dass es nicht mehr so weitergeht wie bisher. Man stellt sich die Frage, warum man das macht, was man macht. 

    Gleichzeitig gibt es aber auch das Gegenteil: Das Festklammern am Alten, Verschwörungstheorien, Menschen, die Toilettenpapier horten… Nicht immer hat die Krise zu tiefgründigen Analysen geführt. Verallgemeinernd lässt sich sagen: So wie man in die Corona-Krise hineingegangen ist – das hat sich währenddessen potenziert. Wenn z.B. mit seiner Arbeit unzufrieden war – dann spürt man das jetzt noch mehr. 

    Auf Seiten der Arbeitgeber hat sich die Spreu vom Weizen getrennt. Die Unternehmen waren gefordert, neue Wege zu gehen, flexibel zu sein, sich ganz neu zu vernetzen, Prozesse schnell zu verändern… Da hat sich sehr viel getan und es gibt jene, die aus der Krise gestärkt hervorgehen – und andere, die es nicht hindurch schaffen.

     
    „Verallgemeinernd lässt sich sagen: So wie man in die Corona-Krise hineingegangen ist – das hat sich währenddessen potenziert.“
    Rüdiger Maas Generationenforscher & Autor

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    „Der Fachkräftemangel bleibt“

    Wie sehen Sie die Situation am Arbeitsmarkt. Denken Sie dass der Fachkräftemangel entschärft wird?

    Nein, der Fachkräftemangel bleibt. Aktuell verschärft er sich – etwa durch Ausfälle im Bildungsbereich, in Schulen… Da entstehen gerade Lücken und viele werden länger studieren müssen etc. 

    Aber das Kräfteverhältnis hat sich wieder verschoben durch die Krise. Es gibt weniger Firmen und weniger Unternehmen, die Mitarbeiter einstellen… Die Dankbarkeit – gerade bei der Generation Z – ist größer für Jobs. Und damit steigt auch die Loyalität.

    Schon nach wenigen Monaten völlig normal: Video Calls statt Live-Meetings.

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    „Es muss nicht mehr das persönliche Gespräch sein“

    Haben Sie Veränderungen im Recruiting beobachtet? 

    Absolut! Die Firmen sind viel offener für eine Digitalisierung des Bewerbungsprozesses. Inzwischen muss es nicht  mehr unbedingt das persönliche Bewerbungsgespräch sein, sondern man hat festgestellt, dass man sich auch sehr gut im Video Call einen ersten Eindruck von einem Bewerber machen kann.

    Auch für das Thema Online-Assessment ist die Offenheit enorm gestiegen. Man hat verstanden, dass es nicht mehr notwendig ist, Kandidatinnen aus den USA einfliegen zu lassen. Das wird es auch nach der Corona-Krise nicht mehr so geben.

    Man sieht nun sehr deutlich, wer sich rasch angepasst hat und wer nicht. Erstere gehen gut und gestärkt aus der Krise hervor. Ich habe mit Headhuntern gesprochen, die sagen, dass sie keinerlei Einbruch erlebt haben. Aber: Sie sind auch auf digitale Formate und Prozesse umgestiegen. Sie haben erkannt, wie einfach und gut diese funktionieren. 

    Da hat sich nun insgesamt wirklich viel bewegt – auch bei Technologien, die es eigentlich schon lange gibt (z.B. Video Calls). Die meisten sind nun gewillt, negative Aspekte – wie Hintergrundrauschen oder Bildverzögerungen – in Kauf zu nehmen, weil die Vorteile deutlich geworden sind.

     
    „Jetzt zeigt sich, wie ein Unternehmen mit seinen Mitarbeitern umgeht.“
    Rüdiger Maas Experte für Generationenforschung

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    „Alles was jetzt passiert steht für immer im Netz.“

    Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht Employer Branding in der Krise? 

    Sehr wichtig. Jetzt zeigt sich, wie ein Unternehmen mit seinen Mitarbeitern umgeht. Wie offen und konstruktiv es kommuniziert. Ob es trotz Homeoffice Nähe zu den Mitarbeitern herstellen kann. Und ob es technologisch mit der Zeit geht. 

    Und: Alles was jetzt passiert steht für immer im Netz. Es wird also nachwirken und Einfluss auf die Arbeitgebermarke haben.

    Ist es denn nicht auch schwieriger Mitarbeiter, die im Homeoffice arbeiten, ans Unternehmen zu binden?

    Da haben wir Interessantes festgestellt: Bisher haben wir Unternehmen immer geraten, bei virtuellen Meetings unbedingt absolut pünktlich zu sein. Aber während der Corona-Krise haben wir festgestellt, dass diese 5 Minuten Leerlauf – während man auf jemanden wartet – sehr wichtig sein können – etwa für den persönlichen Austausch im Team. 

    Wir stellen außerdem fest, dass die Kommunikation gar nicht abgenommen hat. Es wird nicht mehr so “breit” kommuniziert, sondern vermehrt mit bestimmten Leuten. Auch so kann Bindung geschaffen werden. 

    Einen sehr negativen Effekt hatte es, wenn Mitarbeiter sich in den letzten Wochen im Homeoffice mit schlechten Laptops und fehlender technologischer Infrastruktur herumärgern mussten. Das hat bei vielen einen unfassbaren Schaden angerichtet hinsichtlich der Wahrnehmung der eigenen Firma. Und es ist schwer nachvollziehbar, warum es immer noch so viele Unternehmen gibt, die das nicht berücksichtigen.

    Vielen Dank für das Gespräch!

    Fazit

    Die Corona-Krise hat die Situation auf dem Arbeitsmarkt verändert. Unternehmen können die Krise in eine Chance verwandeln, indem Sie flexibel und wertschätzend agieren. Wer jetzt in die Digitalisierung von Prozessen investiert und sich als loyaler Arbeitgeber zeigt, wird auch über die Corona-Krise hinaus davon profitieren.

    * Um unsere Texte möglichst lesefreundlich zu gestalten, verzichten wir darin auf die gleichzeitige Verwendung von männlichen und weiblichen Sprachformen. Dennoch ist uns wichtig, dass sich alle von uns angesprochen fühlen. Daher verwenden wir die männliche und die weibliche Form im Wechsel. Damit sind immer alle anderen Formen gleichermaßen mitgemeint.

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